Mai 2009 – Ist es Filippo Tomaso Marinettis „Futuristisches Manifest“ vom 20. Februar 1909 und damit das definierte Geburtsdatum des Futurismus oder ist es die seit 100 Jahren fortwirkende Kraft und Dynamik einer Idee, die bis heute ausstrahlen und in dem Ausdruck „futuristisch“ zum modernen Sprachgebraucht zählen? Was immer der Grund sein mag: die Medien sind voll von Betrachtungen zum Futurismus, und das aus allen denkbaren Blickwinkeln.
Einig sind sich alle Autoren darüber, dass der Futurismus eine enge Affinität zum Automobil hat. Wenige zitieren Marinettis Bericht über den Ursprung des „Futuristischen Manifests“, nämlich dahingehend, dass er „am Abend und in der Nacht zuvor mit zwei Freunden in drei Automobilen in rasanter Fahrt solange durch die Stadt Mailand gefahren sei, dabei Hunde überfahren habe, bis er schlussendlich einem Radfahrer ausweichen musste und in einem „Fabriks-Graben“ gelandet sei.“
Wie eng diese Verzahnung tatsächlich war, zeigt uns ein Blick auf den 4. Satz des Futuristischen Manifests: Wir erklären, dass sich die Herrlichkeit der Welt um eine neue Schönheit bereichert hat: die Schönheit der Geschwindigkeit. Ein Rennwagen, dessen Karosserie große Rohre schmücken, die Schlangen mit explosivem Atem gleichen . .. ein aufheulendes Auto, das auf Kartätschen zu laufen scheint, ist schöner als die Nike von Samothrake.
Die Kernaussage dieser Erklärung nämlich las Marinetti bereits im Juni 1906 in „Rapiditas“ Nummer 1, Vincenzo Florios berühmter Einladung zur ersten „Targa Florio“, die in der deutschen Übersetzung von 1909 mit dem Satz beginnt: Die Schnelligkeit ist der typische Charakter des modernen Lebens: Kein anderes Symbol könnte wirksamer die Gluth des Gedankens und der Handlung, die unserer Epoche Ihr Gepräge aufdrückt, resumieren.
Auch in der Verbreitung der Eroberungen des Forschergeistes haben die Linotype, die Rotative und die Zeitschrift die Stelle des Wortes, des Katheders und des Buches eingenommen. Die gesamte Energie der mechanischen Apparate hat die hinfällige Kraft der erfahrenen Hand gedemüthigt. Der Motor, der Telegraph und das Telephon haben fast die unübersteiglich geschienenen Hindernisse der Weltmeere, Berge und unendlichen Haiden vernichtet. […]
Es geht weiter mit Hinweisen auf die Beschleunigung der menschlichen Existenz, einer Vorwegnahme der Globalisierung, und gipfelt in der Etablierung der neuen Gottheit „Rapiditas“ – Geschwindigkeit.
Es ist offensichtlich, dass diese ersten Sätze aus „Rapiditas“ von 1906 das gesamte „Futuristische Manifest“ sehr stark beeinflusst haben, um nicht zu sagen, dass Marinetti Teile mehr oder weniger direkt übernommen hat.
Die Rapiditas-Einleitung in heutiger Sprache und unter Hinzufügung des Begriffs „Internet“ hat nach mehr als 100 Jahren noch immer Gültigkeit. Und damit ist wohl das Weiterleben und die Aktualität des Begriffs „Futuristisch“ zu erklären.
PROTOTYP hat das 100-jährige Jubiläum zum Anlass für die Installation eines „Futuristischen Kabinetts“ genommen, in dem neben den wichtigen Protagonisten des historischen Futurismus die Epigonen der 20er bis 60er Jahre von Cassandres „Nordexpress“ über Zeichnungen von Klaus Bürgle aus den 50ern bis zu Archigram und der Walking Citiy gezeigt werden.
Natürlich dürfen die im Titel genannten Automobile nicht fehlen: Fritz von Opels Raketenwagen von 1928 wurde damals und wird noch heute als futuristisch bezeichnet. Der Rückstoßantrieb ist für Rekord- und Wettbewerbszwecke weiter entwickelt worden. Düsengetriebene Rekordfahrzeuge werden seit den 60er Jahren auf dem Salzsee in Utah erfolgreich eingesetzt und der Rover BRM Turbine bestritt 1965 die 24 Heures du Mans.
Nicht weniger „futuristisch“ erscheint uns auch heute noch Marcel Leyats Propellerwagen Helica von 1925. Leyat war Flugzeugkonstrukteur und hatte die Idee, den getriebelosen Propellerantrieb auf das Automobil zu übertragen.
Beide Exponate sind würdige Repräsentanten des Themas „ 100 Jahre Futurismus und das Automobil“
Die Sommerausstellung läuft bis zum 15. August 2008